werde ich immer wieder gefragt. Es freut mich, dass mein Buch neugierig auf Virginia Woolf macht und manche dazu motiviert, eine neue Lektüre einer als bei uns verstaubt und schwierig geltenden Autorin des frühen 20. Jahrhunderts zu versuchen.
Nun, womit beginnen?
30 Seiten lang Zeit geben!
Meine drei Lieblingsromane von Virginia Woolf, die auch in meinem Buch oft vorkommen, sind eindeutig „Orlando“, „Mrs. Dalloway“ und „To the Lighthouse“. Alle drei sind – ich gebe es zu – keine allzu „leichte“ Lektüre, aber auch nicht zu schwierig und schon gar nicht verstaubt! Es ist einfach wichtig, dem jeweiligen Buch einige Seiten Zeit zu geben, nein, sich selbst, um in die Sprache und Schreibweise hineinzukommen. Lies mal, auch wenn du nicht alles verstehst, zehn, zwanzig, dreißig Seiten oder mehr. Spannend finde ich ja auch, dass an Virginia Woolfs Büchern und Essays ein ganz anderes Tempo erlebbar wird. Romane waren im frühen 20 Jahrhundert tendenziell länger, Geschichten wurden langsamer aufgerollt.
In den Bewusstseinsstrom eintauchen
Es wurde, vermute ich, auch den LeserInnen mehr an Geduld und auch an Offenheit für experimentelle Formen zugemutet. Virginia Woolf war einfach eine radikale Moderne, sie experimentierte und entwickelte „stream of consciousnes“ –Techniken („Bewusstseinsstrom“): Ebenso wichtig wie das, was außen abgeht (Handlung), sind die damit vermischten inneren Ströme des Bewusstseins der ProtagonistInnen. Dies erlaubte Woolf, mit Zeitebenen und Perspektivenwechsel zu spielen. Und doch ist da eine Langsamkeit, die im Verhältnis zum heutigen Medientempo ungewohnt ist.
Also, wenn du bereit bist, dich für zwanzig oder dreißig Seiten auf ein Leseexperiment einzulassen, dann wähle aus diesen drei Virginia Woolf-Romanen:
Orlando
Ein großer (langer) Roman, der Jahrhunderte abdeckt und eine magische Geschlechtsumwandlung im Schlaf. Eine phantastische „Biographie“ eines englischen Fürsten, der schreiben will und Jahrhunderte lang lebt und darum kämpft, endlich schreiben zu können… Sehr empfehlenswert auch, vielleicht als Einstiegsdroge, der Spielfilm „Orlando“ mit Tilda Swinton, unter der Regie der wunderbaren Sally Potter. Der Film ist naturgemäß eine Verkürzung des Romans und nimmt dabei leider auch das Thema Schreiben, das das Buch durchzieht, stark zurück.
Mrs. Dalloway
Ein eher kurzer Roman, ein Tag in London in den 1920 er Jahren aus der Perspektive mehrerer Menschen, die jede/r für sich durch die Stadt gehen, dabei alles Mögliche erleben und im Kopf haben (Erinnerungen, Wünsche, Tagträume, Ängste) und sich am Abend bei einem Fest treffen. Phantastisch!
To the Lighthouse
Eine großbürgerliche Familie mit vielen Kindern und Gästen im Sommerhaus an der britischen Küste. Wir befinden uns im späten 19. Jahrhundert. Eine Übermutter, ein patriarchaler Vater, Kinder, die sich am Strand verlieren und verlieben. Dieser stark autobiographische Roman Virginia Woolfs über ihre Kindheit half ihr v.a. auch innere Ruhe bezüglich ihrer altmodischen/„viktorianischen“ Eltern zu finden, die sie beide früh verloren hatte.
Unvergessliche Dinner-Szenen, in denen nicht nur seltsame Gespräche, sondern vor allem die (geheimen) Gefühle der Sprechenden beschrieben werden. Das Durcheinander von Außen- und Innensicht, von Gedanken über gestern, heute & morgen, darum geht es in jedem Buch von Virginia Woolf. Die stärkste Nebenfigur im Buch ist Lilie Briscoe, eine ledige Künstlerin, die ein gewissermaßen von außen zuschaut und inmitten dieser konservativen bürgerlichen Familie mit ihrem Selbstverständnis als Frau und Malerin kämpft. Und sich befreit..
Gute, neue deutsche Übersetzungen
Noch was: Die Bücher Virginia Woolfs wurden in den letzten Jahrzehnten alle neu übersetzt. Wer mit dem dichten und fast 100 Jahre alten Englisch kämpft, kann getrost die (neue) Übersetzungen ins Deutsche des Fischer Verlags probieren (oder sich als Übersetzungshilfe dazu nehmen..):
Zum Leuchtturm , Mrs. Dalloway oder Orlando.
Ok, ich ringe mich zu einer empfohlenen Lese-Reihenfolge durch: 1. Mrs. Dalloway, 2. To the Lighthouse, 3. Orlando. Und dann, 4. „The Waves“, 5., 6., 7.….
Und habe jetzt auch eine zweisprachige Ausgabe von Mrs. Dalloway gefunden, das „Anaconda Paperback“.
Das wäre vielleicht der beste Einstieg!
Mehr zu Virginia Woolfs Essays und autobiographischen Skizzen ein anderes Mal.