Ein Essay von Lena Kothgasser-Haider aus dem „Feministischen Schreibworkshop“ im writers´studio.
Zwischen den Haaren ist erstmal viel Haut. Rot, feucht, gut durchblutet. Ich halte den silberfarbenen Spiegel, den ich als junges Mädchen von meiner Oma geschenkt bekommen habe, in der Hand. Er hat einen schmalen, länglichen Stiel und sieht aus wie ein überdimensional großer Prinzessinnenspiegel aus dem Puppenhaus. Diesen Spiegel halte ich also zwischen meine Beine. Ich bin neugierig und geniere mich auch ein bisschen. Was würde meine Oma wohl dazu sagen, wenn sie wüsste, dass ich mit ihrem Spiegel mein Geschlecht betrachte? Ich bin allein im Badezimmer, habe die Tür sorgfältig abgeschlossen als täte ich etwas ungebührliches. Etwas, das sich nicht gehört.
Schamlippen, Vaginaleingang, Kitzler. Medizinische Zeichnungen aus Biologie-Schulbüchern kommen mir in den Sinn. Was habe ich gelernt darüber, wie wir Frauen unser Geschlecht bezeichnen können? Muschi, Scheide, Vagina. Mit keinem dieser Begriffe habe ich mich je wohlgefühlt. Weil ich mich eigentlich überhaupt nicht wohl damit fühle, sie überhaupt laut auszusprechen.
Warum schämen wir uns noch immer dafür eine Frau zu sein?
Wir schämen uns, weil wir Monat für Monat Blut verlieren. Blut, das die Grundlage all unseres Lebens bildet. Wir schämen uns, weil wir „das da unten“ nicht benennen können. Wir schämen uns, weil unsere Körper nicht den optimierten Vorstellungen, den retuschierten Bildern entsprechen. Wir schämen uns, weil Männer uns mit ihren Blicken ausziehen.
Ich war nie Opfer sexualisierter Gewalt, ich bin immer Opfer sexualisierter Gewalt. Betrifft es eine von uns, betrifft es alle. Als ich 13 Jahre alt war kursierte ein Foto von mir in Unterwäsche an meiner Schule. Die Burschen kopierten es und reichten es in den Pausen einander weiter. Am Schulhof sprach mich einer von ihnen an, hielt mir die schlechte Kopie des Fotos vors Gesicht und fragte grinsend, ob ich das sei. Ich riss ihm bloß das Papier aus der Hand, zerknüllte es und lief mit glühend heißen Wangen ins Schulgebäude. Am darauf folgenden Tag ging ich nicht zur Schule, ich täuschte ein Fieber vor. Es war mir peinlich und gleichzeitig wollte ich auch nicht allzu empfindlich erscheinen. Die Jungs aus meiner Schule können sich heute wahrscheinlich nicht mehr an dieses Foto erinnern. Ich schon.
Es ist nicht egal, welche Bilder wir verbreiten, welche Wörter wir verwenden, denn damit formen wir die Welt. Die Vereinnahmung des weiblichen Körpers hat vor allem mit Mach zu tun. Denn der weibliche Körper macht Angst, am meisten dort, wo er am stärksten ist. Als ich in den vergangenen Jahren auf den Begriff Vulva stieß, wusste ich anfangs nichts damit anzufangen. Zunächst habe ich dieses Wort in meiner alltäglichen Sprache nicht verwendet, zu eigenartig lag es dabei auf meiner Zunge. Nach und nach gewöhnte ich mich jedoch an dessen Klang. Mit Vulva bezeichnen wir erstmals die Gesamtheit der weiblichen Geschlechtsteile, das Innen und das Außen, das Sichtbare wie das Unsichtbare. Zum ersten Mal müssen wir uns dabei nicht schämen, denn es ist ein weiblich definierter Begriff. Wir Frauen erlangen damit die Macht über das Wort und so auch über unseren Körper zurück. Wir müssen uns endlich nicht mehr genieren für die roten Hautfalten zwischen unseren Beinen. Die Badezimmerfliesen fühlen sich angenehm kühl an auf meinen Fußsohlen. Ich drehe den Prinzessinnenspiegel in meiner Hand, blicke hinein und entdecke dabei eine Königin.
2 Responses
Danke für den spannenden Beitrag!
So wunderbar, so wahr, so mutig.